Themenbereiche
Erinnerungskulturen - Geschichtsbilder - Historiografie
Die historische Erinnerung in der öffentlichen Sphäre und der damit verbundene Umgang mit der Vergangenheit bilden wichtige Forschungsschwerpunkte, die sich über eine Vielfalt an Themenbereichen erstrecken. Der öffentliche Gebrauch von Geschichte manifestiert sich in unterschiedlichen Bereichen. Die Analyse der Geschichtsbilder in Schulbüchern gehört genauso dazu wie die Betrachtungen zur shared history, die einer Trennung in „eigene Geschichtsbilder“ versus „Geschichtsbilder der Anderen“ entgegenzuwirken versucht. Ein zentraler Bereich ist die Historiographie des südöstlichen Europas und deren Wirkmächtigkeit in Sinnstiftung und Systemlegitimierung. Nicht zuletzt sind auch die Geschichtsnarrative in touristischen Kontexten Forschungsgegenstand, denn die Rahmung von Destinationen und Attraktionen durch textuelle und visuelle Geschichtsdarstellungen haben sich als wesentlicher Bestandteil national oder regional ausgerichteter Identitätspolitik im südöstlichen Europa erwiesen.
Familie und Geschlecht
Der Forschungsschwerpunkt Historische Familien- und Geschlechterbeziehungen ist seit drei Jahrzehnten fest verankert und findet seine Begründung in der deutlich hervortretenden Familienzentriertheit in den Balkanländern. Die inneren Beziehungen der „Balkanfamilie“, wie sie vor allem im Westen der Balkanhalbinsel in Erscheinung traten, waren in der Vormoderne patriarchal, patrilinear und patrilokal strukturiert. Bedingt durch die Neuorientierungen in der postsozialistischen Periode, die jugoslawischen Kriege sowie das Wiedererstarken traditioneller Werte aus vorsozialistischer Zeit sind sowohl Re-Patriarchalisierungs- als auch scheinbare Verwestlichungstendenzen in den Familien- und Geschlechterbeziehungen festzustellen. Feministische Bewegungen haben es daher schwer, Fuß zu fassen. Die Forschungen zu den Familien- und Geschlechterbeziehungen sind interdisziplinär angelegt: Sie beziehen neben historischen auch soziologische, demografische und anthropologische Fragestellungen und Methoden ein.
Gesundheit und Medizin
Vor gerade einmal hundert Jahren wurde das Osmanische Reich als „kranker Mann am Bosporus“ bezeichnet. Die Konstruktion und Verwendung stereotyper Zuschreibungen sind Teil des Komplexes Orientalismus-Balkanismus und bilden ein wesentliches Element eines Forschungszuganges, der Bilder von Gesundheit und Krankheit in den Mittelpunkt stellt. Über symbolische Bedeutungen hinausweisend bildet die Sozialgeschichte der Medizin einen weiteren Schwerpunkt: Dieser behandelt das historische Auftreten von Epidemien, die gesellschaftliche Rolle von Ärzten und Ärztinnen sowie die Disziplinierung, Einteilung und Selektion der Bevölkerung durch Quarantäne, Desinfektion, Impfungen und weitere Hygienemaßnahmen sowie auch durch eugenische und rassenanthropologische Diskurse. Für die Bevölkerung der überwiegend agrarisch strukturierten Gesellschaften des Balkans stellen u.a. diese Maßnahmen eine frühe Berührungsfläche mit der Moderne dar.
Migration und "Transnationalismus"
Geschichte und Gegenwart des südöstlichen Europa sind ganz entscheidend von Migration geprägt. Aktuell gibt es kaum einen Bereich des gesellschaftlichen und politischen Lebens, der nicht unmittelbar von den Effekten der Migration betroffen ist. Diese Effekte sind vielschichtig und reichen weit über die Region hinaus. Die Erfahrung der Migration stellt häufig einen Bruch mit der eigenen Geschichte dar, sie erfordert eine Neuorientierung im Räumlichen und im Zeitlichen, und sie geht zumeist mit einem verstärkten Bedürfnis nach Verankerung und Sicherheit einher. Die Auseinandersetzung mit historischen und aktuellen Migrationsprozessen stellt deshalb sowohl in theoretischer als auch in methodischer Hinsicht eine große Herausforderung dar. Historisch-anthropologische Zugangsweisen, die zur Anwendung kommen, erweisen sich als besonders geeignet, den vielschichtigen Migrationsphänomenen auf die Spur zu kommen.
Muslimische Kulturen - Osmanisches Erbe
Infolge der Projektionen der Orient-Okzident-Dichotomie wurden muslimische Kulturen lange Zeit als statisch und als „dem Westen“ unterlegen beschrieben. Sie hätten sich jeder Form von Innovation widersetzt, was man auf die Religion zurückführte. Unter Vermeidung dieses eurozentrischen und orientalisierenden Blickes und mit Verwendung des konstruktivistischen Ansatzes werden – bezüglich der europäischen und anatolischen Gebiete des Osmanischen Reiches und dessen Nachfolgestaaten sowie in Bezug auf muslimische Migrationsgesellschaften – gegenseitige Wahrnehmungs-, Austausch- und Visualisierungsprozesse von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart untersucht. Dadurch stehen anstelle der traditionellen philologischen Orientierung historisch-anthropologische sowie kultur- und sozialwissenschaftliche Aspekte im Vordergrund. Weitere Schwerpunkte liegen auf dem Umgang mit dem osmanischen Erbe sowie auf der Untersuchung von patriarchalen Strukturen und Geschlechterbeziehungen in muslimischen Gesellschaften in und außerhalb Kleineurasiens.
Visuelle Kultur
Im Forschungsschwerpunkt „Visuelle Kultur“ wird das Visuelle als Primärquelle in den Mittelpunkt theoretischer und methodologischer Zugänge gestellt. Kulturelle Erscheinungen werden auf ihre visuellen Repräsentationen, auf ihre Sichtbarkeit und auf die damit verbundenen Wahrnehmungen hin analysiert. Durch die Auseinandersetzung mit der Beschaffenheit, Rolle und Funktion von Bildern werden grundsätzliche Fragestellungen nach Konzepten der Ordnung und Strukturierung von Gesellschaften sowie nach der Vielfalt an Formen und Praktiken, in denen Kulturen entlang historischer, politischer, sozialer und ökonomischer Prozesse produziert, verhandelt und in Gebrauch genommen werden, gestellt. Durch die Errichtung der Bilddatenbank VASE [Visuelles Archiv des Südöstlichen Europa] sollen gesammelte visuelle Daten Forschenden, Lehrenden und Studierenden zur Verfügung gestellt werden, um eine aktive Auseinandersetzung mit dem Medium Bild zu ermöglichen.
Interimistischer Leiter
Harald Heppner
Institut für GeschichteInstitut für Geschichte
Sekretariat
Evamaria Schafzahl
Institut für GeschichteInstitut für Geschichte