Montag, 02.12.2024 13:00 Uhr bis ca. 21:00 Uhr
Dienstag, 03.12.2024 08:30 Uhr bis 17:00 Uhr
In den Räumlichkeiten des Arbeitsbereichs für Südosteuropäische Geschichte und Anthropologie
Mozartgasse 3, 8010 Graz
Sexualisierte Gewalt ist allgegenwärtig und damit auch Teil des Forschungsalltags von ethnografisch oder historisch arbeitenden Anthropolog*innen aller Geschlechter. Sie ist in Forschungsthemen präsent, mehr noch in Erfahrungen, die Forschungspartner*innen teilen oder die wir Forscher*innen im Feld oder aus historischen Quellen erfahren. Dennoch finden die Thematisierung und das Verschriftlichen von Gewalterfahrungen im
Prozess des wissenschaftlichen Arbeitens selten ihren expliziten Platz. Es gibt kaum Räume, um sich im Forschungsprozess über sexualisierte Gewalt und den Umgang damit auszutauschen. Erst recht wurde über das Schreiben über Begegnungen mit sexualisierter Gewalt im Feld oder im Archiv bisher kaum geforscht und publiziert. Der Workshop zielt daher darauf ab, Umgangsstrategien im Schreiben über und gegen sexualisierte Gewalt zu erarbeiten.
Sexualisierte Gewalt ist häufig nicht erzählbar. In Interviewsituationen oder Erzählungen unserer Forschungspartner*innen, aber auch in Beobachtungen und in unserem Erleben als Forschende und in archivalischen Quellen wird sie ver- und beschwiegen – und ist doch präsent. Als wissenschaftliche Akteur*innen sind wir in historio- wie in ethnographischen Forschungen selbst in Gefüge von Ohnmacht und Handlungsmacht verstrickt, die es auch im Schreibprozess stetig auszuloten gilt. Macht-Wissen-Verstrickungen wirken sich darauf aus, wie wir sexualisierte Gewalt thematisieren, und sollten in ihrem historischen Gewachsensein ebenso wie im Blick auf aktuelle normative Wissenspraxen hinterfragt
werden. Im Rahmen des Workshops möchten wir daher auch gegen eine Kontinuität patriarchaler Skripte anschreiben und die Vielstimmigkeit von Erfahrungen und Umgangsstrategien mit sexualisierter Gewalt entfalten.
In dem zweitägigen Workshop tauschen wir uns über individuelle Bezüge zum Thema‚ Schreiben über das Schweigen über sexualisierte Gewalt‘ aus. Wir setzen uns mit dem Umgang mit sexualisierter Gewalt in historischen Quellen auseinander und reflektieren Feldmaterial unter supervisorischer Begleitung. Ein Schreibworkshop soll uns schließlich im Kollektiv in eigene Schreibprozesse hineinbegleiten. Der Fokus liegt damit auf denwissenschaftlichen Akteur*innen, die sich mit sexualisierter Gewalt in ihrem Schreibprozess auseinandersetzen und die lernen wollen, wie sie darüber schreiben möchten. Der Workshop soll ein feministisch empowernder Raum sein, ist aber keine therapeutische Umgebung und kann auf keinen Fall die individuelle Aufarbeitung traumatischer Erlebnisse begleiten oder eine Therapie ersetzen.
Folgende Fragen stehen im Vordergrund:
Wie wirken Forschungserfahrungen von sexualisierter Gewalt und deren Verschweigen auf unser Forschen und Schreiben ein? Wie thematisieren und verschriftlichen wir sexualisierte Gewalt auf respektvolle Weise, ohne zu viktimisieren, banalisieren, tabuisieren oder patriarchale Erzählmuster voranzutreiben? Wie verhindern wir, dass wir den beforschten Akteur*innen im Feld in Bezug auf deren Gewalterleben ihre Agency ab-schreiben? Wie schreiben wir über das Unaussprechliche und über Erfahrungen, die nur bedingt
vermittelbar sind – schon gar nicht in wissenschaftlichen Texten? Wie schreiben wir über und gegen die Stille und das Schweigen, das sexualisierte Gewalt erzeugt? Wie erfassen wir Machtstrukturen, die Stille reproduzieren und festschreiben, und zugleich das Schweigen als Strategie und widerständige Praxis Betroffener? Wie schreiben wir empathisch, sensibel kooperativ und anerkennend über und mit Betroffenen? Und wie über unsere eigene Betroffenheit? Und wie bewahren wir dennoch die nötige Distanz zum Feld? Wie gehen wir mit Machtverhältnissen zwischen Forscher*innen und Forschungspartner*innen um?
Können und sollen wir als schreibende Anthropolog*innen und Wissenschaftler*innen sexualisierter Gewalt eingreifend entgegenwirken? Der Workshop soll einen respektvollen, interdisziplinären Austausch schaffen. Wir möchten Schreibblockaden lösen, uns einen solidarischen Raum erschreiben und vielleicht auch
über den Rahmen des Workshops hinaus ins gemeinsame Texten kommen. Die Teilnehmer*innen erwartet eine Vielfalt methodischer Anregungen und Formate wie den Austausch in Kleingruppen, Schreibübungen, die ethnografische Interpretation von Forschungsmaterialien, Input und Begleitung durch eine erfahrene Forschungssupervisorin, sowie eine erfahrene Schreibcoach.
Der Workshop wendet sich an Master- und Doktoratsstudierende, die historisch und/oder ethnografisch forschen. Er wird auf Deutsch abgehalten. Aufgrund des Themas und um einen möglichst sicheren Raum für alle Teilnehmer*innen zu schaffen, ist die Teilnehmer*innenzahl auf 15 Personen beschränkt.
Der Workshop folgt keiner therapeutischen Intention und findet nicht in einem
therapeutischen Setting statt!
Wir freuen uns über Anmeldung bis zum 04.11.2024 an christina.sternisa(at)uni-graz.at durch ein kurzes Motivationsschreiben (ca. 250 Wörter) zu Forschungsfeld, Bezug zum Thema, Motivation der Teilnahme und Erwartungen an den Workshop. In beschränktem Umfang können Kosten für Anreise und Unterkunft erstattet werden (bitte bei Bedarf bei der Anmeldung vermerken).Organisation und Durchführung:
· Christina Sterniša und Heike Karge: Arbeitsbereich für Südosteuropäische Geschichte und Anthropologie an der Universität Graz
· Katharina Eisch-Angus und Lydia Arantes (Schreibcoach): Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Graz
· Almut Sülzle: Supervisorin und Ethnografin, erfahrene Leiterin von Feldforschungssupervisionsgruppen, Berlin