Zum Vortrag
Kolonialismus ist Teil vieler europäischer Familiengeschichten: Bis heute bewahren Familien Briefe, Postkarten oder Beutestücke auf, die Vorfahr*innen als koloniale Akteur*innen nach Hause gebracht haben. Sie belegen nicht nur familiäre Verstrickungen, sondern haben über Jahrzehnte hinweg kollektive Vorstellungen über die koloniale Vergangenheit geprägt. Fotografien waren daran – als vermeintlich authentische Zeugnisse – ganz wesentlich beteiligt. Über den Tod der „Erlebnisgenerationen“ hinaus vermittelten sie koloniale „Erfolgsgeschichten“, wodurch Familien zu einem Hort kolonialer Geschichtsmythen, etwa der „anständigen“ Kolonialherr*innen, wurden. Dieser Vortrag nimmt die kolonialen Bildbestände von Familien in der italienischen Provinz Bozen/Bolzano in den Blick, deren (Groß-)Vätergeneration am faschistischen Kolonialkrieg gegen das Kaiserreich Abessinien (1935–1941) teilgenommen hatte. Markus Wurzer untersucht die Prozesse der visuellen Erinnerungsproduktion und zeigt dabei, dass diese nicht nur die Ex-Kolonialisten betrafen; oft waren es auch ihre Ehefrauen und Töchter, die sich um ihre Bildbestände "kümmerten" und so Bedeutungen über kolonialen Vergangenheiten hervorbrachten.
Zum Vortragenden
Markus Wurzer ist Zeithistoriker und Postdoctoral Researcher in der Max-Planck-Forschungsgruppe „Alpine Geschichten des globalen Wandels: Zeit, das Eigene und das Fremde im deutschsprachigen Alpenraum“ am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle/Saale. Er studierte Geschichte und Deutsch an den Universitäten Graz und Bologna. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte in Graz und Universitätsassistent am Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Universität Linz. Seine Forschungen haben ihn an das Österreichische Historische Institut in Rom, an das Internationale Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien, das European University Institute in Florenz, die Harvard University in Cambridge/MA und die Europäische Akademie in Bozen/Bolzano geführt. Er ist Ko-Koordinator von www.postcolonialitaly.com. Für seine Arbeiten hat er unter anderen 2016 den Förderpreis der Dr. Alois Mock-Europa-Stiftung für seine Diplomarbeit sowie 2019 den Förderpreis des Theodor Körner-Fonds für seine Dissertation erhalten.
WANN: Donnerstag, 19. Januar 2023, 13.00 Uhr
WO: Attemsgasse 8, SR 39.41 (4.Stock) & Online (UNIMEET:
https://unimeet.uni-graz.at/b/sch-wsa-5ad-hfx)
KONTAKT und ANMELDUNG: genderhistory(at)uni-graz.at