Joanna Bednarska-Rydzewska (Universität Lodz) gibt einen Einblick in ihre aktuellen Forschungen zur Aufarbeitung der Geschichte des „Lebensborn e.V“.
Die Veranstaltung wird vom Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung in Kooperation mit dem Institut für Geschichte der Universität Graz organisiert.
Zum Vortrag
Eine besondere Form der filmischen Auseinandersetzung mit der NS-Rassenideologie zeigt sich in der satirischen Darstellung des Lebensborn e.V., wie sie in Bohumil Hrabals Roman Ich habe den englischen König bedient (1971) und in der gleichnamigen Verfilmung von Jirí Menzel (2006) zu finden ist.
Sowohl im Roman als auch im Film wird das Bild des Lebensborn e.V. als Element der NS-Rassenideologie thematisiert. Hrabal und Menzel greifen dabei auf einen weit verbreiteten Mythos zurück, der die Lebensborn-Heime als Brutstätten zur „Züchtung“ der „arischen Rasse“ darstellt – ein Narrativ, das verschweigt, dass diese Einrichtungen in erster Linie als Heime für „arische“ Mütter und ihre Kinder fungierten. Das Bild der Organisation, wie es in der Kultur bis in die späten 1980er Jahre vorherrschte (vgl. Will Berthold, Marc Hillel, Clarissa Henry), war verzerrt, sexualisiert und auf Sensationslust ausgerichtet.
In der Erzählung wird ein Lebensborn-Heim nicht als ideologisch durchorganisierte Institution dargestellt, sondern erscheint als Ort grotesker Dekadenz. Diese satirische Überzeichnung entlarvt die Absurdität der nationalsozialistischen Rassenideologie. In der filmischen Umsetzung intensiviert Jirí Menzel diese Perspektive durch gezielten Einsatz filmischer Mittel: Überzeichnete Mimik und Gestik, symbolträchtige Bildkompositionen, surreale Settings, expressive Kamerafahrten sowie das Spiel mit Licht, Farbe und Schnitt tragen zu einer dichten visuellen Narration bei, die das Satirische zusätzlich betont.
Der Vortrag argumentiert, dass sowohl Hrabal als auch Menzel durch die Mittel der Satire nicht nur die NS-Rassenideologie entlarven, sondern zugleich das populäre Bild des Lebensborn in der Nachkriegskultur reflektieren und kritisch brechen.
Zur Vortragenden Joanna Bednarska-Rydzewska
E-Mail: joanna.bednarska@filologia.uni.lodz.pl
ORCID: 0000-0002-3552-6550
seit 2011: Mitarbeiterin am Institut für Germanistik Universität Lodz (Polen)
Joanna Bednarska-Rydzewska ist im Juni 2025 am Standort Wien des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung tätig. Der Titel ihres Habilitationsprojekts lautet: „Das Bild des Vereins Lebensborn e.V. in Texten der Kultur“.
Ausgewählte Veröffentlichungen:
Monographie:
Danzig / Gdańsk als Erinnerungsort. Auf der Suche nach der Identität im Werk von Günter Grass, Stefan Chwin und Paweł Huelle. Frankfurt am Main 2016. S. 254.
Ausgewählte Beiträge:
Jenseits der Extreme. Szczepan Twardochs „Wieczny Grunwald: powieść zza końca czasów (2010) von Szczepan Twardoch als dystopischer Wenderoman WENDE? WENDEN!: Aneta Jachimowicz (hrsg.): Wende(n) in Literatur und Kultur. Göttingen 2024. S. 265-277.
„Wer Grass sagt, meint Blechtrommel.“ Günter Grass und sein Debüt Die Vorzüge der Windhühner (1956): Katrin Dautel, Carola Hilmes, Peter C. Pohl (hrsg.): Literarische Debüts revisited. Ästhetiken – Konstellationen – Diskurse. Berlin 2025. S. 175-194.
„Sie sehen so arisch aus.“ Flüchtling im eigenen Land am Beispiel des Romans Der Reisende von Ulrich Alexander Boschwitz: Jahrbuch für Internationale Germanistik. Wege der Germanistik in transkultureller Perspektive. Akten des XIV Kongresses der Internationalen Vereinigung für Germanistik (IVG) (Bd. 2). Berlin 2022. S. 451-458.